Quereinstieg im Handwerk: Quereinsteiger gegen den Fachkräftemangel [inklusive Experten Interview] 

12. Jan 2024·Aktualisiert: 09. Feb 2024
Lesedauer 18 Minuten
© Heiko119 / istockphoto.com

In Deutschland fehlen rund zwei Millionen Fachkräfte – unter anderem auch im Handwerk. Und gehen erst die sogenannten Babyboomer, also die bis 1965 geborenen Jahrgänge in Rente, dann verstärkt sich dieser Trend noch. Gute Voraussetzungen für Quereinsteiger: Menschen, die sich beruflich umorientieren und noch einmal ganz neu in den Job einsteigen.

Alles auf einen Blick:

  • Der Fachkräftemangel im Handwerk hat nicht nur Auswirkungen auf die Betriebe, sondern auch auf die Kunden: Die Wartezeiten werden länger, die Stundensätze gehen in die Höhe.
  • Quereinsteiger können, indem sie beruflich neue Wege gehen, die Lücken füllen. 
  • Wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Quereinstieg sind persönliches Engagement und Lernbereitschaft. 
  • Da in allen handwerklichen Berufen Fachkräfte fehlen, sind zahlreiche Betriebe bereit, auch Ungelernte einzustellen. Manchmal ergibt sich sogar daraus eine Ausbildungsmöglichkeit. 
  • Das sollten Sie für eine Quereinstieg ins Handwerk mitbringen: räumliche Vorstellungskraft, handwerkliches Geschick, körperliche Belastbarkeit und ein gewisses technisches Verständnis. 

Welche Folgen hat der Fachkräftemangel? 

85 Prozent der deutschen Unternehmen befürchten, dass der Fachkräftemangel gravierende Folgen für sie haben wird. Laut der Industrie- und Handelskammer haben die an allen Ecken und Enden fehlenden Fachkräfte auch Folgen für die Volkswirtschaft. Einnahmen stehen auf dem Spiel. Zudem ist es problematisch, wenn ein Unternehmen Aufträge ablehnen muss. Auf der einen Seite kann das bedeuten, dass langjährige Geschäftsbeziehungen auf dem Spiel stehen, zum anderen wartet die ausländische Konkurrenz bereits in den Startlöchern. Durch Rohstoffknappheit wird diese Entwicklung noch verstärkt.

Langfristig wird die Personalknappheit nicht nur das bereits vorhandene Personal über Gebühr belasten, sondern auch das Angebot an Produkten und Dienstleistungen beschränken. Was sich wiederum auf die Preise auswirkt. Genau wie die Tatsache, dass viele vorhandenen Fachkräfte nur mit steigenden Löhnen zu halten sein werden – denn sie haben ja jederzeit die Möglichkeit, den Betrieb zu wechseln und werden bei einer solchen Arbeitsmarktsituation auch oft abgeworben. Das bedeutet für den Endkunden nicht nur längere Wartezeiten, sondern auch höhere Stundenlöhne. 

Vor allem im Baugewerbe rechnen fast alle Betriebe mit Auswirkungen, aber auch im Handwerk sind es über 80 Prozent der Fachbetriebe, die sich Sorgen um die Belegschaft der Zukunft machen. Studien zeigen, dass es allein 400.000 zusätzliche Kräfte im technischen und handwerklichen Bereich bräuchte, um die Ziele in der Klima- und Baupolitik umzusetzen. 

Quereinsteiger, auch Seiteneinsteiger genannt, können durch eine berufliche Umorientierung den Bedarf an Arbeitskräften decken und die Teams sinnvoll ergänzen.

SCHON GEWUSST?
Laut der Handwerksordnung dürfen in Deutschland arbeitende EU-Bürger einen Betrieb auch ohne Meistertitel gründen, wenn Sie bestimmte Voraussetzungen wie eine vergleichbare Qualifikation erfüllen. Über die sogenannte Ausübungsberechtigung entscheidet die Handwerkskammer.

Umschulung im Handwerk: Das Hobby zum Job machen

War man früher im besten Fall sein ganzes Arbeitsleben lang bei einer einzigen Firma angestellt, so hat sich das in den letzten Jahrzehnten verändert. Ein Wechsel des Arbeitsplatzes, ein neuer Job, das ist inzwischen ganz normal – genau wie Weiterbildung oder ein komplettes Umorientieren auch noch jenseits der Vierzig. Besonders einfach gelingt der Einstieg in die neue Arbeit, wenn man aus einem anderen Handwerksbereich kommt, denn die Art zu arbeiten, die typischen Abläufe sind bereits verinnerlicht. Beliebt zum Beispiel im Schreinerhandwerk sind auch Bewerber, die aus kreativen Berufen kommen. Das liegt daran, dass sie in der Regel auch handwerklich geschickt sind, sorgsam mit den Materialien umgehen und es zudem gewohnt sind, „out of the box“ zu denken. Aber auch junge Menschen, die ihr Studium abgebrochen haben, können tolle neue Mitarbeiter werden, die bereits viel Theoriewissen und eventuell auch neue Ansätze mitbringen. 

Eine Umschulungen bietet oft die Möglichkeit, noch einmal etwas ganz anderes im Leben zu machen. Vielleicht sogar das eigene Hobby zum Beruf zu erklären. Und mithilfe eines Quereinstiegs das zu machen, wozu man in dieser Lebensphase auch wirklich Lust hat.

Welche Voraussetzungen muss ich als Seiteneinsteiger im Handwerk mitbringen?

Auch, wenn ein spezieller Schulabschluss oder gar eine bereits abgeschlossene Ausbildung schön wären, zwingend ist das schon lange nicht mehr. Es genügt inzwischen, Interesse für die Arbeit mitzubringen. Viele Handwerksbetriebe sind dann bereit, den Quereinsteigern das nötige Fachwissen beizubringen und ihnen so die Möglichkeit zu geben, sich von Grund auf alles anzueignen. 

Es ist wichtig zu betonen, dass der Erfolg als Seiteneinsteiger im Handwerk nicht nur von handwerklichem Geschick, sondern auch von 

  • persönlichem Engagement,
  • Lernbereitschaft und
  • der Fähigkeit abhängt, sich auf die Anforderungen des neuen Berufsfeldes einzustellen.

Die Bereitschaft zur Weiterbildung und die Offenheit gegenüber Herausforderungen im neuen Job spielen hierbei ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Einige Quereinsteiger bringen bereits Fähigkeiten, Know-how oder Qualifikationen mit, die in bestimmten handwerklichen Tätigkeiten von Vorteil sind – zum Beispiel aus dem bisherigen Beruf. Ein solcher Blick „über den Tellerrand“ kann auch für das Unternehmen von Vorteil sein. Einige dieser Fähigkeiten können im Rahmen der Umschulung möglicherweise sogar anerkannt und angerechnet werden, was den Einstieg in den neuen Job erleichtert.
In vielen Handwerksberufen gibt es Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten, um Quereinsteigern den Start zu erleichtern. Diese Programme vermitteln sowohl theoretisches Wissen als auch praktische Fertigkeiten.

Wo kann ich mich informieren?

Die genauen Voraussetzungen können je nach Beruf und Region variieren. In einigen Fällen sind bestimmte Schulabschlüsse oder Basisqualifikationen erforderlich. Quereinsteiger müssen möglicherweise auch bereit sein, zusätzliche Schulungen oder Praktika zu absolvieren, um die notwendigen Fähigkeiten zu erwerben. Wer sich für einen Quereinstieg interessiert, kann von

  • Berufsberatung,
  • Unterstützung durch lokale Arbeitsagenturen mit speziell zugeschnittenen Seminaren und Programmen
  • Handwerkskammern oder
  • Bildungseinrichtungen

profitieren. Diese Organisationen stellen Informationen über Einstiegsmöglichkeiten, Schulungen und berufliche Perspektiven bereit und informieren Sie zusätzlich über die finanziellen Möglichkeiten.

Arbeitssuchende haben oft auch die Möglichkeit, über eine bezahlte Umschulung den Quereinstieg ins Handwerk zu meistern. Zum Teil gibt es auch berufsbegleitende Umschulungen, die unter anderem sogar als Fernunterricht angeboten werden. Diese sind allerdings kostenpflichtig und müssen vom angehenden Handwerker selbst getragen werden. 

Die Dauer einer richtigen Umschulungsmaßnahme ist im Durschnitt zwei Jahre, kann aber oft, mit dem entsprechenden Vorwissen, noch verkürzt werden. Gezahlt wird eine Ausbildungsvergütung oder eine ausbildungsähnliche Vergütung.

GUT ZU WISSEN:
Erkundigen Sie sich gut: Denn oft gibt es staatliche Förderungen, Stipendien oder Kredite zur Unterstützung bei der Finanzierung einer Umschulung.

Was ermöglicht einen erfolgreichen Quereinstieg als Handwerker? 

Indem Sie sich gut vorbereiten, offen für neue Erfahrungen sind und die notwendige Weiterbildung in Angriff nehmen, können Sie als Quereinsteiger im Handwerk erfolgreich Fuß fassen.

Informationen sammeln

Recherchieren Sie die verschiedenen Handwerksberufe und entscheiden Sie, welcher Bereich Ihren Interessen und Fähigkeiten am besten entspricht. Informieren Sie sich über lokale Arbeitsmärkte, Fachkräftemangel und Bedarfsbereiche in genau diesem Handwerksbereich.

Qualifikationen und Voraussetzungen

Überprüfen Sie die spezifischen Voraussetzungen für den von Ihnen gewählten Handwerksberuf. Klären Sie, ob vorhandene Qualifikationen oder Erfahrungen anerkannt werden können.

Interesse und Motivation

Zeigen Sie ein echtes Interesse am Handwerksberuf, den Sie ergreifen möchten. Ihre Motivation wird maßgeblich dazu beitragen, Herausforderungen zu überwinden und sich in Ihrem neuen Arbeitsfeld zu etablieren. Glauben Sie an Ihre Fähigkeiten und stärken Sie Ihr Selbstvertrauen. Ein selbstbewusster Quereinsteiger wird oft besser von Kollegen und Vorgesetzten akzeptiert.

Weiterbildungsmöglichkeiten

Erkundigen Sie sich nach Weiterbildungsmöglichkeiten, Umschulungsprogrammen oder Lehrgängen, die den Einstieg in den gewünschten Handwerksberuf erleichtern können. Prüfen Sie, ob es finanzielle Unterstützung oder Fördermittel für Weiterbildungen gibt.

Berufspraktika und Aushilfsjobs

Praktische Erfahrungen helfen, die Anforderungen und den Arbeitsalltag besser zu verstehen. Ein Praktikum im bevorzugten Handwerk bietet zudem die Möglichkeit, den gewählten Job näher kennenzulernen. Auch Aushilfsjobs erfüllen diesen Zweck – und beide Varianten haben den Vorteil, dass die Chance für eine Übernahme steigt.

Netzwerken

Knüpfen Sie Kontakte in der Branche, zum Beispiel durch Teilnahme an Branchenveranstaltungen, Messen, Workshops oder Schulungen. Gespräche mit erfahrenen Handwerkern können wertvolle Einblicke und Tipps bieten.

Bewerbungsunterlagen aktualisieren

Passen Sie Ihre Bewerbungsunterlagen an den Handwerksbereich an, in den Sie einsteigen möchten. Betonen Sie vorhandene Fähigkeiten, die nicht nur auf den Job übertragbar sind, sondern für diesen sogar von Vorteil sein können.

Bewerbungsstrategie

Überlegen Sie sich eine klare Strategie für Ihre Bewerbungen, einschließlich der Betonung Ihrer Motivation, Lernbereitschaft und Anpassungsfähigkeit. Zeigen Sie in Ihrem Anschreiben, warum Sie sich für den Handwerksberuf entschieden haben und welche Stärken Sie mitbringen.

Ausbildung und Zertifizierungen

Erfahren Sie mehr über die Anforderungen für eine formale Ausbildung oder Zertifizierung in Ihrem gewählten Handwerksberuf. Klären Sie, ob es spezielle Schulen, Berufsschulen oder Ausbildungsbetriebe gibt.

selbstständiges Lernen

Bereiten Sie sich darauf vor, stetig zu lernen und Ihre Fähigkeiten zu verbessern. Nutzen Sie Ressourcen wie Online-Kurse und Fachliteratur, um sich weiterzubilden.

Geduld und Engagement

Der Einstieg als Quereinsteiger erfordert oft Geduld und Engagement.Seien Sie bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen und kontinuierlich an Ihrer beruflichen Entwicklung zu arbeiten.

SCHON GEWUSST?
Nicht immer war der Start ins Berufsleben gelungen, so mancher Lebenslauf ist nicht ganz linear. Um diese Menschen aufzufangen und ihnen trotzdem die Chance zu geben, auch später noch einen qualifizierten Abschluss zu erreichen, wurde die sogenannten Teilqualifikationen ins Leben gerufen. So können auch ungelernte Kräfte Ihre Fähigkeiten nicht nur vertiefen und verfestigen, sondern auch darauf aufbauen.

Was sollten die Betriebe potenziellen Quereinsteigern bieten?

Die Handwerksbetriebe müssen sich nicht nur überlegen, wie sie ihre derzeitigen Mitarbeiter halten, sondern auch, wie sie neue finden können. Das bedeutet, das Unternehmen muss für einen Bewerber auch entsprechend attraktiv sein. Das Gehalt allein ist es nicht, dazu gehören auch folgende Punkte:

  • es muss nicht immer Vollzeit sein: mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten
  • stetige Weiterbildung im Job
  • Betriebsklima und Führung
  • wertschätzender Umgang im Team 
  • zeitgemäße Arbeitsmittel 
  • gute Anbindung zum Beispiel auch an den öffentlichen Nahverkehr
  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung
  • Add-ons wie Betriebliche Altersvorsorge oder ein Dienstfahrzeug
  • transparente Vorgänge: klare Regelungen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten

Entscheidend ist: Wer als Quereinsteiger im Handwerk startet, braucht eine gründliche Einarbeitung und stetige Weiterbildung. Das müssen nicht immer Seminare sein, das kann auch als „Training on the Job“ passieren. 

GUT ZU WISSEN:
Das Qualifizierungschancengesetz unterstützt vor allem Kleinstunternehmen und KMUs in Berufen mit Fachkräftemangel, sogenannten „Engpassberufen“. Dabei können zumindest Teile der Weiterbildungskosten und des Arbeitsentgelts während der Weiterbildung übernommen werden. Informationen erhalten Sie bei der zuständigen Agentur für Arbeit.

Quereinsteiger – von Anfang an nützlich

Kommt man zum Beispiel aus dem Büro und möchte gerne umschulen auf einen pflegerischen oder handwerklichen Beruf, dann steht oft die Befürchtung im Raum, den anderen Mitarbeitern zunächst nur „im Weg rumzustehen“. Doch gehen die Arbeitgeber das richtig an, kann der Quereinstieg ganz sanft erfolgen. Denn es gibt Arbeiten, bei denen Interessierte von Anfang an sinnvoll eingebunden werden können – eine Chance für die anderen Mitarbeiter, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Folgende Tätigkeiten in Handwerksbetrieben kommen von Anfang an infrage:  

  • vorbereitende Arbeiten
  • Aufräumarbeiten
  • Transport von Material und Werkzeug
  • Werkzeugsäuberung und -pflege
  • Hilfstätigkeiten
  • einfache Montagearbeiten nach Anleitung
  • Assistenz bei schwierigeren Aufgaben
  • Materialzuschnitt
  • Unterstützung bei einfacheren Reparaturen

Kann ich mich nach einem Quereinstieg ins Handwerk selbstständig machen?

Es gibt eine Reihe von Handwerksberufe, die sogenannte zulassungspflichtige Gewerbe sind. Das bedeutet, Sie benötigen nicht nur eine qualifizierte Ausbildung, sondern auch einen Meisterbrief, um sich selbstständig zu machen. Damit soll Fachwissen garantiert werden. Zu diesen Berufen gehören zum Beispiel 

Viele andere Handwerksgewerbe sind zulassungsfrei. Das heißt, eine Meisterpflicht wird nicht vorausgesetzt für die Selbstständigkeit. Dazu zählen unter anderem: 

  • Goldschmied
  • Maßschneider
  • Schuhmacher
  • Gebäudereiniger
  • Fotograf
  • Kosmetiker
  • Textilreiniger oder 
  • Bestatter

Auch bei den sogenannten handwerksähnlichen Berufen ist kein Qualifikationsnachweis notwendig. Einen Eintrag bei der Handwerkskammer braucht es aber trotzdem. Unter diese Berufe fallen zum Beispiel: 

  • Bodenleger
  • Asphaltierer
  • Metallschleifer
  • Teppichreiniger
  • Maskenbildner
  • Rohr- und Kanalreiniger oder
  • Fahrzeugverwerter

Gewerke, die nicht in der Handwerksordnung aufgezählt sind, zählen zu Berufen, bei denen kein erhöhtes Gefahrenpotenzial für die Öffentlichkeit besteht, wenn sie nicht fachmännisch ausgeführt werden. Eine allgemeine Definition fehlt allerdings, daher ist die Abgrenzung in manchen Berufen schwer, zum Beispiel im Bereich Trockenbau. Im Kern geht es dann immer darum, ob eine solche Tätigkeit ein Handwerk tangiert oder eine nebensächliche, leicht zu erlernende Tätigkeit darstellt – die nicht von der HwO geregelt werden. Eine reine Gewerbeanmeldung genügt. Damit darf zum Beispiel der Garten- und Landschaftsbauer Wege und Plätze anlegen, ohne dass ein Eintrag in die Handwerksrolle erforderlich ist – als Dienstleistung sozusagen. 

Im Prinzip können Sie als reiner Quereinsteiger übrigens auch eine Gesellenprüfung ablegen. Dazu ist es lediglich notwendig, mindestens eineinhalb Mal so lange wie es die reguläre Ausbildungszeit des Berufes vorsieht, in dem Beruf gearbeitet zu haben. Bei einer Lehrzeit von drei Jahren sind das dann also viereinhalb Jahre. Auch Berufserfahrung im Ausland zählt. Dazu gehört allerdings eine Menge Selbstdisziplin. Halten Sie dann Ihren Gesellenbrief in der Hand, dann ermöglicht der es Ihnen, den Meister zu machen und sogar Ihren eigenen Betrieb zu eröffnen.

Interview mit Dr. Volker Born, ZDH-Bereichsleiter Bildung

Der Fachkräftemangel stellt in Deutschland eine bedeutende Herausforderung dar, insbesondere im Handwerk. Die Kombination absehbares Ausscheiden erfahrener Arbeitskräfte und fehlender Nachwuchs wirkt sich auf verschiedenste Bereiche aus. Die Sorge um die Belegschaft der Zukunft ist präsent. Das Anwerben von Quereinsteigern scheint da ein vielversprechender Ansatz, um langfristig Engpässe zu überbrücken. Wir haben uns mit Dr. Volker Born, dem Bereichsleiter Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), unterhalten und nachgefragt, wie es mithilfe des Themas Quereinstieg gelingen kann, die Wettbewerbsfähigkeit der Handwerksbetriebe aufrechtzuerhalten.


Zdh Bereichsleiter Bildung Voker Born Quereinstieg Im Handwerk: Quereinsteiger Gegen Den Fachkräftemangel [Inklusive Experten Interview] 

Über unseren Experten

Dr. Volker Born ist der Bereichsleiter Bildung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Der Bereich Bildung begleitet bildungspolitische Initiativen, Gesetzesvorhaben der Bundesregierung sowie Projekte der Bundesministerien.

Bild: © Zentralverband des Deutschen Handwerks | ZDH


Herr Dr. Born, welche Chancen bietet denn Ihrer Ansicht nach der Quereinstieg?

Das Handwerk braucht Fachkräfte. Ein Quereinstieg bietet da die Chance, dass auch Ungelernte die freien Arbeitsplätze übernehmen können. Sinnvollerweise ist das mit einer Qualifizierung verbunden, denn dadurch ergeben sich oft allein schon längerfristige berufliche Chancen.

Welche Möglichkeiten gibt es da im Einzelnen?

Kommen Sie aus einem ganz anderen Berufsfeld, dann können Sie zum einen über eine Umschulungsmaßnahme gehen und auf diese Weise den Ausbildungsberuf im Handwerk erlernen. Die Teilnehmer bringen hier meist schon gewisse Grundqualifikationen wie Abschlüsse mit und können auf diese Weise eine neue Ausbildung erfolgreich starten. Unter anderem für ungelernte Kräfte gibt es kleinere Qualifizierungsmodule, sogenannte Teilqualifizierungen. Auch auf diese Weise ist es möglich, einen externen Abschluss zu machen oder mit den Bescheinigungen im Betrieb aufzusteigen. Zudem gibt es ein Projekt, das derzeit viele Handwerkskammern einsetzen und das schon bald per Gesetz bundesweit umgesetzt werden soll. Hier ist es möglich, sich die Berufserfahrung validieren lassen kann.

Eine besondere Rolle nehmen ja die Studienabbrecher ein …

Ja, um die hat sich das Handwerk in den letzten Jahren sehr intensiv bemüht, einzelne Handwerkskammern haben zum Beispiel ein spezielles Bildungsprogramm angeboten, bei dem der- oder diejenige die Ausbildung verkürzen kann und nach dem Gesellenabschluss direkt in die Meisterqualifizierung geht. Man möchte hier eine gewisse Attraktivität gewährleisten, um das Potenzial zu heben. Das gelingt besonders gut, wenn es enge Vernetzungen zwischen den Handwerkskammern und den Hochschulen gibt. Dann kann zum Beispiel bereits der Bildungsberater der Studienberatung die entsprechenden Hinweise darauf geben, welche Chancen es gibt, welcher Beruf thematisch etwa naheläge oder welcher sonst infrage käme für einen Neuanfang.

Welche Anreize können denn die Betriebe setzen, um potenzielle Quereinsteiger anzulocken?

Wir haben in Deutschland allein 2,6 Millionen Menschen, die ohne Berufsabschluss sind und viele von ihnen sind in Beschäftigung. Hier setzen wir Anreize, indem wir die Möglichkeit geben, über Qualifizierungen den Quereinstieg abzusichern und die Qualität zu gewährleisten. Auf diese Weise können die Betriebe zum Beispiel eine langfristige Beschäftigungssicherheit bieten. Weitere Möglichkeiten sind aber auch Unterstützung bei der Mobilität oder der Wohnungssuche.

Und wie können die Handwerksbetriebe sicherstellen, dass Quereinsteiger von Anfang an effektiv und sinnvoll in die Arbeitsabläufe integriert werden?

Die Qualität muss der Betriebsinhaber sicherstellen. Es gibt viele Betriebe mit angelernten Mitarbeitern, zahlreiche Tätigkeiten kann im Prinzip jeder ausführen, der entsprechend angeleitet wurde. Allerdings gilt das nicht für alle Arbeiten, manche dürfen nur ausgebildete Gesellen durchführen – zum Beispiel, wenn es um Starkstrom geht. Gelegentlich genügt es aber auch, sich durch Weiterbildung bestimmte Qualifikationen anzueignen, was den Quereinstieg deutlich vereinfacht. Und wir stellen hier auch bereits einen Anstieg bei der Weiterbildungsbereitschaft fest.

Was unterscheidet denn eigentlich die zulassungspflichtigen Gewerbe von und den zulassungsfreien beziehungsweise den handwerksähnlichen Berufen?

Zunächst einmal ist natürlich jeder Beruf gleich viel wert. Aber es gibt reglementierte Berufe, bei denen ein gewisser Abschluss eine Voraussetzung ist. Nehmen wir mal ein Beispiel aus dem akademischen Bereich wie den Arzt oder die Ärztin. Hier will der Gesetzgeber, aber natürlich auch die Gesellschaft an sich, Sicherheit haben. Die gewünschte Qualität ist dabei über den Abschluss abgesichert. So etwas gibt es im Handwerk auch – nämlich bei den Handwerksmeistern. Wenn Sie sich jetzt zum Beispiel eine Wärmepumpe einbauen lassen möchten, dann wissen Sie, dass derjenige, der den Betrieb leitet, eine Meisterqualifikation hat und das gibt Ihnen als Verbraucher natürlich eine hohe Sicherheit. Bei anderen Berufen geht man davon aus, dass eine so hohe Sicherheit nicht notwendig ist beziehungsweise, dass es auch viel einfacher ist, zu überprüfen, ob die Qualität gegeben ist. Ein Beispiel hierfür wäre der Beruf des Bürokaufmanns beziehungsweise der Bürokauffrau. Das heißt natürlich nicht, dass der Beruf weniger wert ist, sondern lediglich, dass er anderen Absicherungen unterliegt.

Das heißt im Umkehrschluss, wenn man sich für den Quereinstieg einen Beruf sucht, der nicht zulassungspflichtig ist im Sinne der Handwerksordnung – also dem Gewerberecht für das Handwerk -, dann könnte man über einen erfolgreichen Quereinstieg ins Handwerk sogar ohne richtige Ausbildung seinen eigenen Betrieb gründen?

In den nicht reglementierten Berufen ja. Das Handwerk hat sich aber immer schon dafür eingesetzt, dass möglichst viele Gewerke zu der sogenannten Anlage A der Handwerksordnung gehören, also einen Meistertitel voraussetzen, um einen Betrieb eröffnen zu können. Bis auf wenige Ausnahmen ist hier auch das Interesse vonseiten der Handwerkerinnen und Handwerker groß, weil auf diese Weise eine gute Qualität gesichert ist.

Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Altersgrenze für den Quereinstieg? 

Nein, ganz im Gegenteil. Wir machen uns im Handwerk schon seit vielen Jahren Gedanken darüber, wie jemand, der nicht mehr in seinem Beruf arbeiten will oder kann, berufsnah eingesetzt werden könnte, damit seine Kenntnisse nicht verlorengehen. Nehmen wir als Beispiel eine Dachdeckerin oder einen Dachdecker, der sich altersbedingt das Arbeiten auf dem Dach nicht mehr zutraut oder es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr schafft. So eine Arbeitskraft lässt sich zum Beispiel sehr gut im Bereich der Logistik Bau einsetzen, da sie sich gut auskennt in diesem Bereich und Erfahrung hat etwa mit den Werkstoffen und der Umsetzung. Auf diese Weise lässt sich die Expertise weiter nutzen – auch bei Mitarbeitern, die bereits älter sind und möglicherweise über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten möchten. Das ist Fachwissen, das uns sonst verloren ginge.



Fazit

Der Einstieg in ein neues Berufsfeld kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Seien Sie beim Thema Quereinstieg geduldig und setzen Sie sich realistische Ziele. Ausdauer ist entscheidend, um eventuelle Herausforderungen zu überwinden. Und bedenken Sie: Handwerksberufe können physisch anspruchsvoll sein und verschiedene weitere Herausforderungen mit sich bringen. Seien Sie bereit, sich neuen Aufgaben zu stellen und sich auch körperlich anzupassen. Arbeiten Sie aktiv an Ihrer beruflichen Entwicklung, dann erhöhen Sie Ihre Chancen auf einen erfolgreichen Quereinstieg ins Handwerk. Und haben vielleicht schon bald zahlreiche eigene zufriedene Kunden.

Das könnte Sie auch interessieren
Grafikdesigner Bei Einer Logoerstellung Mit Entwürfen In Der Linken Hand Und Pc Im Hintergrund
Handwerk allgemein

Handwerker-Logo erstellen: Die 5 besten Tipps

17. Mai 2023·Aktualisiert: 14. Dez 2023 4 min
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – das gilt auch für Logos. Als Handwerker wissen Sie, wie wichtig es ist, einen professionellen Eindruck und Kompetenz zu vermitteln. Ein gut gestaltetes Han
Tob Betrieb Des Monats
Handwerk allgemein

Top-Betrieb des Monats

22. Jul 2022·Aktualisiert: 12. Jan 2024 3 min
Ein Abheben von der Konkurrenz ist gerade für handwerkliche Betriebe schwierig. Ein Herausstechen aus der Masse, um neue Kunden zu gewinnen, erfordert meist hohen Aufwand und Kosten. Warum dann nicht
Verein Für Berufliche Integration E.v.
Handwerk allgemein

Experteninterview: Andreas Lotte über den Verein für berufliche Integration e.V.

03. Mrz 2022·Aktualisiert: 12. Jan 2024 13 min
Der Verein für berufliche Integration e.V. ist seit Jahren ein vorantreibendes Unternehmen, wenn es um die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Arbeitsmarkt geht. Der Verein führt derzeit zwei Un